Stellungnahme des Deutschen Bibliotheksverbandes e.V. zum Vorschlag für eine Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt vom 25.2.2005 KOM (2004) 2 endgültig/2

 

 


"Ziel des im Januar 2004 angenommenen Richtlinienvorschlags ist es, die rechtlichen und administrativen Hindernisse für den Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten zu beseitigen, damit ein echter Dienstleistungsbinnenmarkt entstehen kann. Die vorgeschlagene Richtlinie brächte Dienstleistungserbringern ein höheres Maß an Rechtssicherheit, wenn sie von den im EG Vertrag festgeschriebenen Grundfreiheiten der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit Gebrauch machen wollen. Das Angebot und die Inanspruchnahme von grenzüberschreitenden Dienstleistungen in der EU würden erleichtert. Dadurch stiege der Wettbewerb im grenzüberschreitenden Dienstleistungsmarkt, was zu niedrigeren Preisen, höherer Qualität der Produkte und einem größeren Angebot für Verbraucher führte. Die Richtlinie stärkte zudem die Rechte von Dienstleistungsempfängern, zum Beispiel durch die Aufnahme eines Diskriminierungsverbots".

 

Mit dem vorliegenden Entwurf einer Richtlinie kann dieses Ziel nicht erreicht werden. Die grundsätzliche Kritik des Deutschen Bibliotheksverbandes richtet sich gegen das Herkunftslandprinzip, die nicht zugleich festgelegte Harmonisierung des Verbraucherschutzes und die nicht zweifelsfreie Ausnahme vom Geltungsbereich von Dienstleistungen, die durch Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen, wie Bibliotheken, Archive und Bildungseinrichtungen erbracht werden.

 

Bibliotheken sind Dienstleistungseinrichtungen, die der Daseinsvorsorge des Bürgers, der Bildung, Wissenschaft und Forschung dienen. In Art. 1 (Anwendungsbereich) sind ihre Dienstleistungen nicht vom Geltungsbereich ausgenommen, somit fallen sie unter die Richtlinie, soweit ihre Tätigkeit nach Art. 4 als Dienstleistung qualifiziert wird. Dem Grundsatz nach besteht Einvernehmen, dass die Dienstleistungen einer Bibliothek nicht als „selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit, bei der einer Leistung eine wirtschaftliche Gegenleistung gegenübersteht“, definiert werden. Näher betrachtet, sind die Bibliotheken gehalten, ihre Dienstleistungen zunehmend kostenneutral zu erwirtschaften und durch Gebühren und Entgelte zur Finanzierung der Einrichtung beizutragen. Die Klage des Börsenvereins u.a. gegen Subito e.V. in Sachen Kopiendirektversand, in der insbesondere auch darauf abgestellt wird, dass der Kopienversand durch Bibliotheken eine Teilnahme am Markt sein soll, ist Zeugnis dafür, dass die Dienstleistungen der Bibliotheken aufgrund von Entgelterhebungen im allgemeinen Verständnis nicht unstrittig als nichtwirtschaftliche Tätigkeit angesehen werden. Auch wenn kein Gericht dieser Auffassung gefolgt ist, so gilt es Vorsorge zu treffen, und die Dienstleistungen der Bibliotheken und anderer Bildungseinrichtungen vom Geltungsbereich zweifelsfrei auszunehmen, um den schnellen Informationstransfer in der Wissensgesellschaft nicht nachhaltig zu gefährden.

 

Die digitalen Technologien ermöglichen eine globale Nutzung von Bibliotheken. Ihre Bestände sind weltweit in elektronischen Katalogen recherchierbar und mittels digitaler Übertragungstechnik teilweise auch weltweit nutzbar. Damit ist es möglich, dass das geistige Schaffen aller europäischen Mitgliedsstaaten arbeitsteilig gesammelt wird und allen Bürgern der Europäischen Union gleichermaßen zur Verfügung stehen kann. Diese Dienstleistungen machten erhebliche Investitionen erforderlich, sodass eine maximal kostendeckende Entgelterhebung vieler Dienstleistungen in zahlreichen Staaten der EU die Folge sind. Aber eine weitere Dienstleistung wird von den wissenschaftlichen Bibliotheken wahrgenommen, sie sind Bestandteil der Publikationskette von geistigem Schaffen. Die Open Access Bewegung hat gerade die Bibliotheken im Dienste von Universitäten und anderen Wissenschaftseinrichtungen mit der dauerhaften Bereitstellung von Wissen in elektronischer Form beauftragt. Diese Neuausrichtung der Publikationstätigkeit und des freien Zugangs erstreckt ihre Wirksamkeit ebenfalls grenzüberschreitend und arbeitsteilig. Die elementare Bedeutung von Bibliotheken für eine europäische Wissensgesellschaft darf keine Beeinträchtigung erfahren, damit der wissenschaftliche Fortschritt und damit der EU-Binnenmarkt wettbewerbsfähig bleiben kann. Es muss anerkannt werden, dass ihre Aufgaben nicht unter den Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeiten subsumiert werden dürfen. Der Deutsche Bibliotheksverband fordert deshalb, dass unter Art. 2 d die Dienstleistungen von Bibliotheken, Archiven und Dokumentationseinrichtungen von der Anwendung der Richtlinie ausgenommen werden.

 

Bibliotheken und ihre Nutzer sind aber auch Dienstleistungsempfänger im Sinne der Richtlinie. Durch das der Richtlinie zugrundeliegende Herkunftslandprinzip wird zwar einerseits die Niederlassungsfreiheit grundsätzlich erleichtert, aber andererseits zugleich für den Dienstleistungsempfänger die Gefahr begründet, dass er bei der Inanspruchnahme von Dienstleistungen einer Vielzahl von anderen Rechtssystemen gegenüber steht. Der umfassende Katalog von Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip (Art 17 bis 19) ist für den Verbraucher und andere Dienstleistungsempfänger nicht überschaubar. Auch gilt es zu befürchten, dass durch das grundsätzliche Herkunftslandprinzip der sehr hohe Verbraucherschutz in Deutschland de facto umgangen werden kann. Es ist dem Verbraucher auch nicht zuzumuten, sich bei jeder Dienstleistung erst über das jeweils geltende Recht kundig zu machen, bevor er eine Dienstleistung in Anspruch nimmt. Die in Art. 22 ausgestaltete Informationspflicht reicht nicht aus, um den Dienstleistungsempfänger mit Rechtssicherheit zu versehen. So ist, wie unter Art 40, Satz 2 d, für 1 Jahr nach Inkrafttreten der Richtlinie angekündigt, vielmehr eine zeitgleiche Harmonisierung des Verbraucherschutzes herbeizuführen.

 

Abschließend ist festzustellen, dass der Vorschlag für eine Dienstleistungsrichtlinie durch eine echte Harmonisierung der Niederlassungsfreiheit zur Dienstleistungserbringung inklusive eines Verbraucherschutzes in der Europäischen Union für den Dienstleister und Dienstleistungsempfänger gleichermaßen Wettbewerb und Rechtssicherheit mit sich bringen würde; und zwar mehr Wettbewerb und Rechtssicherheit, als es das Herkunftslandprinzip mit all seinen Kontrollverfahren aus einem anderen Land heraus je bewirken könnte. Viele Branchen in Deutschland und Frankreich befürchten eine Lawine von Dumping-Preisen, Aushöhlung von Tarifverträgen und Qualitätsverlust. Davon dürften unstrittig auch die Dienstleistungsbranchen der Kultur und Wissenschaft betroffen sein.

 

Der EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy hat am 6.1.2006 bereits ein Einlenken aufgrund der massiv vorgetragenen Bedenken gegen die Dienstleistungsrichtlinie eingeräumt. Insbesondere will er von der Liberalisierung die Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge ausnehmen. Das darunter die Tätigkeiten von Bibliotheken, Archiven und Bildungseinrichtungen zu verstehen sind, ist explizit in der Richtlinie zu beschreiben.

 

Im Übrigen verweist der Deutsche Bibliotheksverband e.V. auf die EBLIDA Stellungnahme zur Dienstleistungsrichtlinie, der er sich uneingeschränkt anschließt.

 

Berlin, den 9. Januar 2006